Zweckrationales Gewinnstreben auf der einen, zweckfreier Genuss gepaart mit kritischer Reflexion auf der andern: Wirtschaft und Kunst, Ökonomie und Ästhetik scheinen in einem unüberwindlichen Gegensatz zu stehen. Was aber, wenn Kunst nicht nur Kritik an der Ökonomisierung der Lebenswelt übt oder als Kompensation für den Stress des Wirtschaftslebens dient, sondern selbst von ökonomischer Logik durchdrungen ist, ja sogar zur ökonomischen Entwicklung beiträgt? Diesen Fragen geht die interdisziplinäre Vortragsreihe „Kunst als Wertschöpfung. Zum Verhältnis von Ökonomie und Ästhetik“ im Rahmen der Deutsche Bank Stiftungsgastprofessur „Wissenschaft und Gesellschaft“ nach: Namhafte Expertinnen und Experten aus den Wirtschaftswissenschaften, der Kunstgeschichte und den Kulturwissenschaften denken in sieben öffentlichen Vorträgen im Museum Angewandte Kunst das Verhältnis von Ökonomie und Ästhetik neu.
In einem Interview mit der New York Times im Jahr 1950 entsetzte sich der Schriftsteller Arthur Koestler über die Selbstkennzeichnung seines von ihm sonst geschätzten Kollegen Ernest Hemingway als „Champion der amerikanischen Schriftsteller“. Kunst, so Koestler, sei zusammen mit der Religion derjenige Bereich des menschlichen Lebens, der von jedem Wettbewerb frei zu sein habe. Koestler bringt damit eine gängige Gegenüberstellung von Kunst und Ökonomie ins Spiel, der zufolge Kunst fernab jeglicher Marktlogik Sinn stifte.
Andererseits ist der Gedanke des Wettbewerbs in die moderne Kunstgeschichte seit ihren Anfängen eingelassen. Giorgio Vasari beschreibt in seinen Lebensbildern italienischer Künstler schon im 16. Jahrhundert den Wettbewerb zwischen den italienischen Stadtstaaten des Spätmittelalters als Motor der Kunstentwicklung. Wie der Ökonom Michael Hutter aufzeigt, wird der Fortschritt der Kunst in der Moderne zugleich seinerseits zu einem Modell und einer Quelle der technischen und ökonomischen Innovation. Und als sich im 19. und 20. Jahrhundert der bürgerliche Kunstmarkt vollends entfaltet, bestimmen fortan Auktionserlöse im Zusammenspiel mit der kritischen Würdigung durch Museumsausstellungen und Katalogtexte den Status eines Werks. Die Arbeit von Kunstwissenschaft und Kunstkritik, so Wolfgang Ullrich, muss heute darin bestehen, solche Durchdringungen von Ästhetik und Ökonomie zu analysieren und offenzulegen, statt sie diffus zu beklagen.
Von besonderem Interesse ist dabei der Aspekt des Risikos. Bei genauerer Betrachtung lässt sich beispielsweise ein Zusammenhang zwischen der Er ndung der Wahrscheinlichkeitsrechnung im 17. Jahrhundert und der Entwicklung literarischer Fiktionalität nachzeichnen. Wie Soziologin Elena Esposito argumentiert, adressieren Wahrscheinlichkeitsrechnung und literarische Fiktionalität dabei zwei unterschiedliche Dimensionen der Kontingenz. Ohne offene Zukunft gibt es keine Gewinnmargen, und ohne unvorhersehbare Ereignisse lassen sich keine Geschichten erzählen. Zugleich ist Risikobereitschaft in der Moderne eine ästhetische Tugend: Künstler, die Risiken eingehen, die Konventionen über Bord werfen, neue Formen entwickeln, bereit sind, die Weiterentwicklung ihrer Ausdrucksmöglichkeiten über die Bedürfnisse von Kritik und Publikum zu stellen, genießen ein höheres Ansehen als solche, deren Arbeit sich im Horizont bekannter und etablierter Formen bewegen.
Verstehen Philosophie und Kulturtheorie Kunst und Kultur in der Regel bald als Korrektiv, bald als Kompensation des Kapitalismus – als Kritik der lebensweltlichen Verluste, welche die zunehmende Ökonomisierung der Lebensverhältnisse mit sich bringt (so etwa Adorno und die Frankfurter Schule),oder als Kompensation dieser Verluste durch das säkulare Mysterium der Kunst (so etwa Joachim Ritter, Odo Marquard, oder Hermann Lübbe) –, so schlägt die Vorlesungsreihe „Kunst als Wertschöpfung“ vor diesem Hintergrund einen anderen Weg ein. Sie stellt die Geschichte der Kunst in den Horizont einer Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung und geht davon aus, dass die Kunst in der Moderne sich auch und gerade unter dem Gesichtspunkt von Wagnis, Wettbewerb und Wertschöpfung verstehen lässt.